Merle Suefke war im Oktober und November 2023 als freiwillige Helferin im Luigi Scrosoppi Care Center. Sie kam über ISA (Initiativkreis Südafrika in Neuenkirchen) nach Oudtshoorn. Sie war zur gleichen Zeit wie Lena Frigger vor Ort. Hier ihr sehr lesenswerter Bericht über ihre Eindrücke und Erfahrungen.
Die Zeit verlängert sich für all diejenigen, die sie zu nutzen wissen“. (Leonardo da Vinci)
Im Folgenden möchte ich von meiner bereichernden, lehrreichen, herausfordernden und unvergesslichen Zeit als Freiwillige im St. Luigi Scrosoppi Care Center berichten. Dieser Bericht ist rein subjektiv und beruht auf meinen ganz persönlichen Erfahrungen und Eindrücken. Ich heiße Merle, bin 24 Jahre alt und komme aus Hamburg. Ich bin ein aufgeschlossener, lebensfroher und emphatischer Mensch. Ich habe schon länger davon geträumt, nach Südafrika zu reisen und dort einer Freiwilligenarbeit nachzugehen. Ich wollte neue Erfahrungen sammeln, etwas zurückgeben und eine andere Kultur kennenlernen – weit weg von meiner eigenen Lebensrealität. Mit abgeschlossenem Bachelor im Fach Psychologie, viel Vorfreude und Aufregung bin ich nach Oudtshoorn gereist. Eine meiner wohl besten Entscheidung in meinem Leben. Ich habe innerhalb von zwei Monaten so viel erleben, helfen und mich einbringen dürfen, wofür ich unglaublich dankbar bin.
An meinem ersten Tag im Center nahm mich Lena, die andere Freiwillige vor Ort, in Empfang und zeigte mir das Gelände und stellte mich allen vor. Alle freuten sich über helfende Hände und sagten zwei Monate seien doch viel zu kurz. Doch Zeit ist relativ, wie sich zum Ende meiner Freiwilligenarbeit herausstellte. Mein Alltag sah immer unterschiedlich aus. Die Vormittage verbrachten wir mit Aufräumen, Organisieren, sauber machen, Gemüse schnippeln, Gartenarbeit und Vorbereitungen auf unsere Workshops. Das Team von Huis Luigi aus Pater Mark, der Köchin „Tante“ Ingrid, „Tante“ Maud, Sachin Sen., Sachin jun., Lena und mir wurde oft unterstützt von Linda und Mbali. Gemeinsam waren wir ein richtig gutes Team und halfen uns immer gegenseitig, auch auf eine sehr familiär geprägte Art. Diese familiäre Atmosphäre hat meine Arbeit dort für mich besonders ausgezeichnet, so dass ich mich immer wohl und aufgehoben gefühlt habe.
Mit Lena zusammen habe ich oft Mal- und Bastel-Workshops gemacht. Je nach Tagesform der Kinder – und unserer – und je nach Höhe der Außentemperatur waren wir mal mehr, mal weniger kreativ. Aber die Hauptsache war für uns immer, dass die Kinder Spaß hatten und den hatten sie. Das Leuchten in den Augen der Kinder, wenn sie unbeschwert draußen gespielt haben oder sich beim Malen in ihrem Kunstwerk verloren haben, miterleben zu dürfen, hat mich erfüllt. Die Lebensrealität, der die Kinder ausgesetzt sind, ist fern von der, die wir im „heilen“ Deutschland kennen. Mir war auch, bevor ich nach Südafrika kam, bewusst, dass den Kindern nicht die gleichen Chancen im Leben haben wie Kinder aus den reicheren Industrieländern. Sie haben keine Luxusprobleme wie „Mama und Papa, mir ist mein IPhone runtergefallen.“ oder Weihnachtswünsche wie „Ich will die neuste Xbox.“ – ganz im Gegenteil. Die Kinder, die ich kennenlernen durfte, kennen solche Probleme nicht.
Ob sie zu ihren beiden Elternteilen eine intakte Beziehung führen, ist oft unklar. Dass sie eine Bezugsperson erleben, die ihnen die nötige Aufmerksamkeit schenkt, ist auch nicht immer gegeben; mal ganz davon abgesehen, sich einen Luxusgegenstand zu Weihnachten wünschen zu können. Probleme, Beziehungen und Weihnachtswünsche, die in einem Industrieland wie Deutschland für viele vermutlich als selbstverständlich wahrgenommen werden. An der Tagesordnung für Menschen aus Townships in Südafrika stehen Armut und Hunger, leider auch Alkohol- und Drogenkonsum, Gewalt, Diebstahl, Rassismus und emotionale Herausforderungen. Dies immer im Hinterkopf, bin ich mit viel Energie, Respekt und Offenheit in meine Tage dort gestartet. Aus psychologischer Sicht war es spannend zu sehen, dass die Kinder eine hohe Resilienz aufweisen. Es sind Entwicklungsstörungen zu erkennen wie Störungen des Sozialverhaltens, Störungen der Aufmerksamkeit, Defizite im Lernen und einiges anderes. Diese bedingen sich oft durch das Fetale Alkoholsyndrom, keine festen Bindungen im Elternhaus, vermindertem Selbstwert und keine Zukunftsaussichten für ihr Leben. Das St. Luigi Scrosoppi Care Center bietet Möglichkeiten, Chancen und Unterstützung an, was inspirierend zu sehen ist.
Pater Leon sagte mir eines Tages: „If you work with people and you expect results you will always be disappointed and bitter.“ Ein Satz, der mich vermutlich mein Leben lang begleiten und wachsen lassen wird.
Mir hat die Zeit viel Freude bereitet. Ich habe es sehr genossen, da sein zu dürfen und mich mit meinen Stärken einzubringen. Sei es, mich beim Adventskalender basteln kreativ auszuleben, Kuscheleinheiten „zu geben“, mit den Mädels Quatsch zu machen oder alle um mich herum zum Lachen zu bringen – es waren Glücksmomente, die ich für immer in meinem Herzen trage. Auch Momente, in denen ich nur über mich lachen konnte wie beispielsweise beim Versuch mit den – sehr geübten – Jungs Fußball zu spielen. Hervorhebenswert ist, dass ich auch mit Kindern ‚Therapie’ machen durfte, was mir Pater Mark (mit Genehmigung der Eltern) zugetraut hat – dies war eine einmalige und lehrreiche Erfahrung.
Um die Kinder, insbesondere die Jungs, im Teambuilding und fairen Miteinander zu stärken, haben Lena und ich einen Tag einen Workshop dazu gemacht. Ich war vorher etwas verunsichert, ob wir uns zu viel vorgenommen hatten mit den Jungs und wie gut sie mitmachen würden. Am Ende war ich sehr erfreut, wie gut die Jungs sich auf den Workshop eingelassen haben und mitgemacht haben. Es war immer wunderbar, das große Interesse der Kinder zu beobachten, wenn wir Workshops mit ihnen machten. Besonders gerne erinnere ich mich an Nachmittage zurück, wo wir alle gelacht haben, die Mädels getanzt haben und die Jungs im Rugby-Fieber waren. Zudem auch an die Geburtstage von „Tante“ Ingrid und Lena, die wir gebührend im großen Kreis gefeiert haben. Prägend war auch unsere Umweltwoche, in der wir den Kindern Werte wie Nachhaltigkeit, Recycling und Mülltrennung zu vermitteln versucht haben – in Workshops wie „Mülltasten“ oder einer gelungenen Müllsammelaktion vor Ort.
Zwischen unseren Vormittagsbeschäftigungen und dem Nachmittagsprogramm mit den Kindern war ich täglich in der Suppenküche, um dort beim Ausgeben der Mahlzeiten zu helfen. Auch das war mir eine große Freude, den Menschen mit einem warmen Essen und einem klitzekleinen Smalltalk ein Lächeln aufs Gesicht zaubern zu dürfen. Ich habe immer noch im Ohr wie eine Frau, mit der ich mich öfters länger unterhalten habe, sagte: „Ek kan nie kla nie.“ (dt: Ich kann mich nicht beschweren.). Pater Leon und Tante Maud zu sehen, wie sie die Suppenküche managen, war beeindruckend. Lena und ich waren dabei immer flexibel und bemüht zu helfen, wo wir nur konnten.
Mir wurde erzählt, dass es früher noch viel mehr Freiwillige gab, die länger blieben. Dass ich aus beruflichen Gründen nur für zwei Monate Zeit hatte, wurde sehr bedauert. Jedoch wurde mir an meinem letzten Tag vermittelt, dass allen die Zeit so viel länger vorkam und überhaupt eine helfende Hand immer willkommen geheißen wird. Sollte jemand darüber nachdenken, auch eine Freiwilligenarbeit zu wagen und etwas Zeit haben – ich kann es jedem nur ans Herz legen, das Abenteuer in die Tat umzusetzen. Ob man nun Stärken im kreativen, handwerklichen oder im musikalischen Bereich aufzuweisen hat. Alle Kompetenzen und Fähigkeiten werden gerne gesehen und gebraucht.
Ich danke meinem Team vom Huis Luigi für die Zusammenarbeit und Wertschätzung.
Ich danke den Kindern, dass sie mich an ihrem Leben Teil haben lassen.
Ich danke auch meiner Gastmutter Janet, die ich sofort in mein Herz geschlossen habe, samt ihrer Familie und der Tiere.
Ihr alle werdet immer einen Platz in meinem Herzen haben. Und wie sagt man so schön im Deutschen:“ Man sieht sich immer zweimal im Leben.“
20. Dezember 2023,
Merle Suefke