Ein Einblick in die Lebensrealität im Township
Father Leon hat mit mir am zweiten Samstag nach meiner Ankunft eine Tour durch das Township von Oudtshoorn gemacht. Einige Impressionen davon möchte ich gerne schildern. Das Geschilderte gibt wirklich nur einen kleinen Einblick in die Lebensrealität der Menschen im Township und ihre möglichen Ursachen wieder. Ich beanspruche keine Vollständigkeit und man sehe mir auch Fehler oder verkürzende Darstellungen nach. Es ist alles sehr komplex, was es schwierig macht, die Inhalte verständlich und nicht zu kompliziert darzustellen.
Vorab: Mich hat die Realität im Township sehr betroffen und demütig gemacht, auch wenn ich mich natürlich vorher intensiv damit beschäftigt habe, was mich erwartet. Die Situation mit eigenen Augen zu sehen und hier auch im Township zu leben, hat jedoch eine ganz andere Qualität als die Informationen, die ich vorher im Internet gesehen oder von Klaus Lauck lebhaft erzählt bekommen habe. Ich fühle mich hier bei den Oratorianern aber sehr sicher! Man muss eben immer die nötige Vorsicht walten lassen.
Ich finde es wichtig, dass Sie und ihr, einen Eindruck der Lebenswirklichkeit der Menschen hier vor Ort erhalten und erhaltet, für die die Oratorianer und alle Mitwirkenden sich täglich einsetzen und denen Ihre und eure Spenden zu Gute kommen.
Zum Verständnis (und ich meine diese Ausführungen und Bezeichnungen in keiner Weise rassistisch, es soll lediglich die Geschichte und Situation darstellen. Dies allerdings sehr verkürzt):
In der Apartheid wurden die Menschen in Südafrika in vier „Rassen“ unterteilt: „White“, „Black“, „Coloured“ und „Asian“. Oft verbinden wir mit der Apartheid nur die Rassentrennung von „schwarz“ und „weiß“, dies ist aber viel zu kurz gegriffen. Es lohnt, sich einmal tiefergehend mit der Geschichte Südafrikas zu beschäftigen, um zu verstehen, wie diese Form der Rassentrennung zu Stande kam.
Das Regime der „Weißen“ hat die einzelnen Gruppen in verschiedene Bereiche der Städte umsiedeln lassen und ihre Rechte beschränkt. Beispiel: „Coloureds“, die im Stadtteil lebten, den die „Weißen“ nun für sich beanspruchten, mussten ins Township umziehen und Arbeitsstellen, die vorher „Coloureds“ inne hatten, wurden durch „Weiße“ besetzt, sodass auch viele Menschen ihre Arbeit verloren. Damit diese Umsiedlung möglich war, wurden Hütten außerhalb der Stadt gebaut oder bereits bestehende „Locations“ erweitert. Die Townships waren geboren.
Mit dem Ende der Apartheid wurde die Rassentrennung aufgehoben und somit auch die Verpflichtung, in verschiedenen Vierteln zu wohnen. Doch viele Menschen sind einfach zu arm und mittellos, um dem Township zu entfliehen und in einen attraktiveren Bereich der Stadt zu ziehen. Deshalb wachsen viele Townships der Städte Südafrikas heute immer noch an, auch wenn das System der Apartheid seit mehr als 30 Jahren beendet ist.
Übrigens: die Angabe der Rasse steht heute immer noch im südafrikanischen Reisepass.
Bridgton: Etwa 50.000 Menschen leben in diesem Teil, dem „Township“ von Oudtshoorn, überwiegend „Coloured people“, wenige „Black people“. Es gibt einen kleinen Bereich, der etwas „besser“ ist, in dem meist Menschen leben, die Arbeit haben. Die Situation verschlimmert sich, je tiefer man ins Township kommt. Die Arbeitslosenrate ist insgesamt sehr hoch. Über 60% der Menschen, die in diesem Teil der Stadt leben, haben keine Arbeit.
Viele leben in „shacks“: einfache Wellblechhütten, oft nur wenige Quadratmeter groß mit ein oder zwei Räumen, die von Großfamilien bewohnt werden und in denen gekocht, gelebt und geschlafen wird. Im Winter ist es darin eisig kalt, im Sommer brütend heiß. Für die meisten Menschen ist jeder Tag ein Überlebenskampf. Sie denken nicht weit in die Zukunft, es geht täglich darum, etwas zu essen zu bekommen. Viele sind sehr arm. Bei der Fahrt durch das Township sieht man immer wieder Kinder, die auf der Straße spielen, Frauen und Männer, die im Müll am Straßenrand nach Essbarem oder etwas Verwertbarem suchen. Überall liegt Müll, es ist schmutzig, Rinnsale sind verdreckt.
Früher gab es kleine Parks und Spielplätze, heute sind das nur noch brachliegende Flächen und Ruinen, weil die Menschen abmontiert haben, was zu Geld zu machen ist. Hier ist sich jeder selbst der nächste.
Immerhin wurde vor wenigen Tagen ein Einkaufszentrum im Township eröffnet, sodass die Menschen nicht mehr kilometerweit ins Stadtzentrum laufen/fahren müssen, um einzukaufen.
Es wurde auch ein „neuer“ Teil im Township errichtet, in dem der Staat Wohnungen zur Verfügung stellt (ähnlich wie Sozialwohnungen in Deutschland), aber viele Menschen ziehen nach kurzer Zeit wieder aus, weil sie sich Strom und Wasser nicht leisten können und das Haus lieber zu Geld machen. Das Geld reicht aber nicht lange und schnell sind die Menschen zurück in den „shacks“. Zudem sind diese Wohnungen oft sehr instabil.
Öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht mehr. Früher gab es Züge oder Busse, die regelmäßig fuhren. Heute ist das alles abgeschafft, Taxiunternehmen dominieren und boykottieren andere Unternehmen. (In Kapstadt hat kürzlich ein Taxi-Streik die ganze Stadt lahmgelegt und blockiert.) Die Menschen hier haben deshalb oft keine Chance jemals etwas anderes als Oudtshoorn zu sehen. Ich werde in meiner Zeit in Südafrika mehr von diesem wunderschönen Land, das so viele Schätze hat, sehen als die meisten Menschen im Township.
Mit solch großer Armut geht eine hohe Kriminalitätsrate einher: Diebstähle und Überfälle sind an der Tagesordnung. Vergewaltigungen und gewalttätige Auseinandersetzung sind keine Seltenheit. Drogen und Alkoholmissbrauch verstärken die heikle Situation. Menschen versuchen ihre Sorgen, Ängste und ihre Verzweiflung darin zu ertränken. Viele werden abhängig, drehen durch und stellen eine Gefährdung dar. „Tik“ ist eine beliebte, chemische Droge, die billig herzustellen ist. Sie ähnelt Crystal Meth und macht extrem schnell abhängig. Der durch die Droge verursachte Gehirnschaden ist irreparabel. Die Droge beeinflusst die Persönlichkeit der Süchtigen und gibt ihnen zumindest für eine kurze Zeit ein berauschendes Gefühl als Flucht aus ihrem Alltag. Doch sie macht sehr aggressiv; die Personen schlafen kaum noch, sie werden gewalttätig und machen in ihrem Rausch und dem Verlangen nach dem nächsten Kick auch vor ihren Familien nicht halt, die sie dann bestehlen und drangsalieren, sodass die Familien sich nicht mehr sicher fühlen können. Dies ist aber nur eine Droge unter vielen. Drogenhändler machen ihr Geschäft mit den Süchtigen, die das wenige Geld, das sie haben, in ihre Sucht investieren. Dramatisch ist es, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen und die Kinder mit Eltern im Vollrausch, oft mit Gewalt und mit ständigem Hunger aufwachsen. Viele solcher Kinder kommen zu uns ins Center und schon die Kleinsten besuchen die Kinderkrippe, die von den Schwestern.
Die regelmäßigen Stromausfälle verbessern die Situation nicht. Mehrmals am Tag fällt, meist 2-4 Stunden am Stück, der Strom aus; „Loadshedding“. Immerhin werden die Zeiten in einer App angekündigt, sodass man sich einigermaßen vorbereiten kann. Aber viele Menschen im Township sitzen am Abend im Dunkeln, haben kein Licht und keinen Strom, um sich und ihrer Familie etwas zu essen zu kochen. Nur wenige können sich auch einen Gaskocher leisten. Die Wirtschaft leidet darunter extrem, da viele Betriebe auf Elektrizität angewiesen sind und nicht arbeiten können, wenn Stromausfall ist. So gehen auch wieder Jobs verloren.
Die Liste der Probleme ist lang…
Ich stelle mir die Frage, wieso das Leben so unfair ist: Menschen wie ich selbst, die behütet aufgewachsen sind, genug zu Essen, ein warmes Dach über dem Kopf und Arbeit haben. Und dann diese große Armut und Hilflosigkeit, aus der es unter den derzeitigen politischen Umständen kaum ein Entkommen gibt. Ich werde mir des Glücks bewusst, in Deutschland, in einer funktionierenden Demokratie und in eine behütete Familie geboren zu sein! All das macht mich zunächst sprachlos, betroffen und demütig!!!
Father Leon gibt mir den Tipp, nicht zu viel über diese Ungerechtigkeiten nachzudenken und nicht alles zu hinterfragen, sonst ist man schnell der Verzweiflung nahe. Manches in dieser Welt muss mir der liebe Gott irgendwann einmal erklären, wenn es so weit ist…
Ich frage mich weitergehend, warum sich seit dem Ende der Apartheid die Lage im Land kaum verbessert und sich in einigen Bereichen sogar verschlimmert hat.
Die Antwort findet man in der Politik.
Nach dem Ende der Apartheid haben die „Black people“ die Regierung übernommen. Wir alle haben von Nelson Mandela gehört, dessen Einsatz und Leistungen für dieses Land großartig waren und zum Ende der Apartheid führten. Das Land hatte in ihm einen starken Präsidenten, den Menschen ging es gut.
Leider ist die derzeitige Regierung sehr korrupt. Geld und Macht sind das Entscheidende, nicht die Menschen in der Gesellschaft. Auch die Stromausfälle haben ihren Ursprung in der Korruption.
Die derzeitige Regierung hat viele „Weiße“ aus höheren Positionen verdrängt. Arbeitsstellen werden durch „Black people“ besetzt, die oft aber gar nicht die Ausbildung und Kompetenz dafür mitbringen. Viele „Weiße“ werden bewusst verdrängt und ausgeschlossen, finden oft keine Arbeit mehr, weil die „Black people“ freie Arbeitsplätze mit Leuten aus ihrem Stamm besetzen. Aus demselben Grund finden viele „Coloureds“ keinen Job. Die Schere zwischen arm und reich geht sehr weit auseinander. Eine Mittelschicht, die hohe Steuern bezahlen muss, um die Kosten des Sozialsystems zu tragen, gibt es kaum – ein aussichtsloses Unterfangen.
Man könnte die Liste beliebig verlängern…
Aus eigener Kraft schaffen es daher nur wenige, ihre Lebenssituation zu verbessern und mit dem Mangel an Arbeitsplätzen können es auch gar nicht alle Menschen aus eigener Kraft schaffen. Es ist ein Teufelskreis der Armut, der oft kein Ende findet. Wir versuchen die Jugendlichen im Center darin zu unterstützen, einen Ausweg zu finden, der vor allem darin besteht, die Schule zu besuchen, sich zu bilden und einen Beruf zu erlernen. Vielfach ist das auch schon sehr gut gelungen! Lest dazu zum Beispiel Sachins Geschichte, die ihr hier auch auf der Homepage von FOPOS über diesen Link findet.
Insgesamt bräuchte es in Südafrika einen massiven politischen Wandel und vor allem ein Ende der Korruption! Im nächsten Jahr stehen in Südafrika Wahlen an. In den nächsten Monaten werden die Politiker der Parteien Werbung für sich machen, Versprechen abgeben, damit die Leute sie wählen. Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind sehr frustriert, weil sich seit Jahren nichts ändert, und wünschen sich eine Regierung, die endlich den Menschen in den Blick nimmt, fernab von Hautfarben oder anderen Unterschieden. Sie wünschen sich Politiker, die die Nöte der Ärmsten ernst nehmen, die das Geld dafür einsetzen, dass jeder Mensch in Würde leben und sich die allgemeine Lebenssituation verbessern kann; Politiker, die ehrlich sind, nicht in ihre eigenen Taschen wirtschaften, ihre Versprechen einhalten und Veränderungen vorantreiben, die zu Verbesserungen führen.
Die Menschen hier sind auch ängstlich, was nach der Wahl passiert. Im Sinne Mandelas wäre sicherlich ein friedlicher Protest. Es sind beunruhigende Zeiten und doch bleiben die Menschen hoffnungsvoll, dass sich etwas ändern wird, blicken positiv in die Zukunft und versuchen manchmal auch selbst tätig zu werden, indem sie sich für Projekte zusammenschließen und sich gegenseitig helfen.
Zum Schluss: Die Arbeit der Oratorianer und aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist für die Menschen hier unglaublich wertvoll! Die oben beschriebenen Probleme zeigen die Not der Menschen deutlich!
Alle geben mit Gottes Hilfe jeden Tag ihr Bestes, um den Menschen mit dem Center und der Suppenküche Hilfsangebote, Perspektiven und ein gewaltfreies Umfeld zu bieten. Jeder ist mit festem Gottvertrauen, Herz und Hand dabei, um die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu unterstützen und ihnen zu helfen – mit nahrhaften Mahlzeiten und im Haus Luigi, Haus Philipp und Haus Veronica auch mit Lernangeboten, Workshops und Sport sowie viel Liebe und Aufmerksamkeit!
Es kommen viele, unheimlich tolle Kinder und Jugendliche ins Center und wenn man die dankbaren Augen sieht, weiß man, warum und wofür sich alle hier so unglaublich engagiert einsetzen! Auch wenn wir nur einem verhältnismäßig geringen Teil der Bedürftigen in der Bevölkerung helfen können und es in der eigenen Verantwortung der einzelnen Menschen liegt, was sie zukünftig daraus machen, lohnt sich jede einzelne Minute, jede einzelne Mahlzeit, jedes einzelne Spiel … Kurzum: jeder Cent, der in dieses Projekt fließt, hilft!
Vielen Dank an alle, die über FOPOS so großzügig gespendet haben und spenden werden!!! Durch Ihre und eure Spenden können so viele Kinder hier im Center eine Mahlzeit bekommen und einen geschützten Raum erfahren. Ihr und euer Geld schenkt ihnen ein bisschen Liebe und Hoffnung in ihrem Alltag. Wir können hier viel bewegen!
Mit den zwei, bald drei, Gewächshaustunneln im großen Garten haben die Oratorianer zudem die Möglichkeit, Gemüse und Pflanzen anzubauen, deren Erträge verkauft werden, um selbst Einnahmen zu erwirtschaften und unabhängiger zu werden. Die Anschaffung dieser Tunnel war nur mit Hilfe der Spenden von Studiosus möglich! Herzlichen Dank auch dafür!
Die Oratorianer sind wirklich unheimlich dankbar, dass FOPOS sie unterstützt und die Arbeit vor Ort zum Wohle der Ärmsten erst möglich macht! Vergelt‘s Gott!